Das besondere Fossil

März 2008- Ceratites flexuosus PHIL. Ventralskulptur
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Ceratites flexuosus PHIL. Ventralskulptur
Oberer Muschelkalk, Troistedt, DE = 9,6 cm, ca. 3 m über Tetractinella –Bank,
Die einfachen lateralen Sichelrippchen gehen über die Marginalkante waschbrettartig auf die ebenflächige Ventralseite über.
Slg. Rein

Beschreibung

Die Ventralseite der Biospezies Ceratites nodosus kann ebenflächig oder gewölbt, breit oder schmal, glatt oder skulpturiert, marginal kantig oder gerundet sein. Der Ursprung für diese Merkmalsvielfalt liegt in der heterogenen Zusammensetzung der Immigranten-Populationen in den neu entstandenen Lebensraum „Oberes Muschelkalkmeer“. Beim Integrationsprozess der verschiedenartigen phänotypischen Immigranten-Morphen kommt es zur größten genetischen Vielfalt in der Ceratitenentwicklung (REIN 2007).
Die „exotischste“ Besonderheit einer dieser Einwanderer-Gruppen bestand in der Ausbildung ventraler Skulpturelemente.

Abb. 2: Ceratites flexuosus, Ventralskulptur, forma conclusa, Oberer Muschelkalk, Ernstroda, DE = 8,6 cm, 2,5 m über Tetractinella–Bank
Die einfachen ventralen Rippelbildungen gehen anfangs von den Marginalknötchen aus und werden zur Mündung hin durchgängige ringrippige Strukturen. Marginalkante und Ventralseite sind gerundet
Slg. Ehrhardt


Fast zwei Drittel aller heterogenen Individuen dieser neu entstandenen Fortpflanzungsgemeinschaft bildeten dieses Merkmal in der ersten Integrationsphase aus.

Abb. 3: Die Graphik (REIN 2007, Abb. 15) zeigt den großen prozentualen Anteil des Merkmals in der flexuosus- und unteren sequens/pulcher-Zone (Phase „a/b“ und „c“) und den deutlichen Rückgang um 50% in der oberen sequens/pulcher-Zone (Phase „d“) – einer Zeit der beginnenden Migration aus dem thüringischen Zentrum bevorzugt in den nordwestlichen Teil des Muschelkalkmeeres.


Der prozentuale Merkmals-Anteil „Ventralskulptur“ verringerte sich von der flexuosus -Zone (Phase „a“ = 63% – „b“ = 61%) bis Mitte der sequens/pulcher -Zone (Phase „c“ = 57%) nur geringfügig. Auffällig ist danach jedoch der Rückgang um 50% in der oberen sequens/pulcher-Zone (Phase „d“) auf 28,5%.
Bis zu den Ceratiten der spinosus -Zone bleibt dieser prozentuale Merkmals-Anteil authentisch im Genpool erhalten (REIN 2004). Die statistische Bearbeitung der Individuen der meissnerianus/semipartitus –Zone (REIN 2007) bestätigt diesen inzwischen lückenlosen Trend bis ans Ende der nachfahrenlosen Formenreihe.

Abb. 4: Ceratites pulcher „P“, juv., DPhr. 2,8 cm, Diemarden (Abguß), ventrale skulpturelle Bildungen auf Phragmokon und Wohnkammer als verbindende Stege zwischen den Marginalknoten. Slg. Mascke


Abb. 5: Ceratites spinosus, DPhr. 8,9 cm, Dingelstedt, ventrale skulpturelle Bildungen auf Phragmokon und Wohnkammer als verbindende Stege zwischen den Marginaldornen. Slg. Kilisch


Abb. 6: Ceratites praenodosus, DPhr. 7,8 cm, Mühlhausen, ventrale skulpturelle Bildungen auf dem Phragmokon als Stege zwischen den Marginalknoten. Slg. Rein


Abb. 7: Ceratites dorsoplanus „E“, DE = 25,5 cm, Pfersdorf, ventrale skulpturelle Bildung auf der Wohnkammer die nicht auf eine Verletzung zurückzuführen ist und als Beispiel für rezessive Merkmale der Immigranten gelten kann. Slg. Suchopar


Abb. 8: Ceratites meissnerianus „P“, juv., DPhr. 10,6 cm, Hain, ventrale skulpturelle Bildung auf dem Phragmokon als Stege zwischen den Marginalkoten. Slg. Rein


Dieses rezessive Verhaltensmuster des genetischen Merkmals einer Einwanderer-Population ist ein weiterer Beleg dafür, dass anfangs alle Individuen der heterogenen Immigranten miteinander sexuell fortpflanzungsfähig gewesen sein mussten. Auf diese Weise wird auch die ungewöhnlich große Variationsbreite der von ihrer Stammart reproduktiv isolierten Tochterart Ceratites nodosus verständlich.

Bemerkungen zum „fastigatus“-Problem

Skulpturelle Bildungen der Ceratiten-Ventralseite werden allgemein mit dem Begriff fastigat bezeichnet. Ursprünglich besaßen Individuen mit extrem ausgebildetem „fastigatus“-Merkmal Artstatus (z.B. Ceratites fastigatus CREDNER, Ceratites fastigiotenuis ROTHE). Sie waren und sind wegen ihrer Seltenheit ein begehrtes Sammler-Objekt. KEUPP (1985, 2000) deutet fastigate Ceratiten grundsätzlich als pathologische Individuen, die im Zuge der skulpturellen Kompensation ihren lateralen Rippenbauplan auf der ventralen Außenseite des Gehäuses umgesetzt haben.

Dazu ist folgendes zu bemerken: Ceratiten mit ventralen Skulpturelementen besitzen keinen nomenklatorischen Status. Sie sind auch nicht selten, wenn man alle Stufen ihrer Ausbildung (feinste Rippelbildung bis kräftige Rippen) auf gut erhaltenen Steinkernen einbezieht. Die Aussage von KEUPP, nach der alle ventral skulpturierten Ceratiten pathologische Individuen seien, ist falsch, wenn sie auf „alle“ ventral skulpturierten Individuen bezogen wird. Sie ist richtig, wenn der „laterale Rippenbauplan auf der ventralen Außenseite des Gehäuses umgesetzt“ wird. In diesem Fall handelt es sich jeweils um eine Verletzung des Mundsaum-Epithels die eine unterschiedlich große Narbe hinterlässt (vgl. REIN 2005). Dieser Reparatur-Prozess wird als „skulpturelle Kompensation“ GUEX (1968) bezeichnet. Solche Verletzungen sind jedoch selten, haben asymmetrische Gehäusebildungen zur Folge und kausal keine Gemeinsamkeit mit dem Immigranten-Merkmal.

Abb. 9: Ceratites praenodosus, DE = 10,2 cm, forma fastigata, Riechheim. Nach der Mundsaum-Verletzung des ventralen Weichkörpers bis über die rechte Marginalseite wurde zum Schließen der Wunde der unverletzte linke Lateralteil bis auf die Mitte der Ventralseite gezogen und verwuchs mit der rechten Seite. Als Ergebnis erkennt man die auf die Mitte gezogenen Rippen der linken Lateralseite, die rechts marginal liegende Narbe und die Reste der rechten Lateralskulptur.


Literatur:

CREDNER, G.R. (1875): Ceratites fastigatus und Salenia texana.- Zeitschr. f. d. ges. Naturw., 46: 105-116, Taf. V., Leipzig.
GUEX, J. (1968): Sur deux consèquences particulières des traumatismes du manteau des ammonites.- Bull. Lab. Gèol. Univ. Lausanne, 175: 1-6, 4 Abb., 2 Taf., Lausanne. Bull. Soc. vaud. Sci. natur., 70; 328: , Lausanne.
GUEX, J. (1968): Sur deux consèquences particulières des traumatismes du manteau des ammonites.- Bull. Lab. Gèol. Univ. Lausanne, 175: 1-6, 4 Abb., 2 Taf., Lausanne. Bull. Soc. vaud. Sci. natur., 70; 328: , Lausanne.
KEUPP, H. (1985): Das "fastigatus" -Problem bei Ceratiten des Germanischen Muschelkalks.- Symposium Georg Wagner, Programm und Exkursionsführer: 10, Künzelsau.
KEUPP, H. (2000): Ammoniten.- Paläobiologische Erfolgsspiralen.- Thorbecke Species, Bd. 6: 165 S., Stuttgart.
ROTHE, H. W. (1949): Zum Problem des Ceratites fastigatus CREDN. mit Beispielen von thüringischen Fundorten.- Hall. Jb. f. Mitteldt. Erdgeschichte, 1 ; 1: 27-32, Taf. I-V, Halle.
REIN, S. (1991): Die fastigaten Ceratiten in den Sammlungen des Erfurter Naturkundemuseums.- Veröff. Naturkundemuseum Erfurt, 10: 66-79, 5 Taf., Erfurt.
REIN, S. (2004): Zur Biologie der Ceratiten der spinosus-Zone - Ergebnisse einer Populationsanalyse -; Teil II: Variationsbreite der Skulptur- und Suturbildungen.- Veröff. Naturkundemuseum Erfurt, 23: 33-50, 20 Abb., 2 Prof., Erfurt.
REIN, S. (2005): Zur Biologie der Ceratiten der spinosus-Zone - Ergebnisse einer Populationsanalyse -; Teil III: Schlussfolgerungen zur biologischen Organisation und Lebensweise des Ceratitentieres.- Veröff. Naturkundemuseum Erfurt, 24: 13-34, 18 Abb., Erfurt.
REIN, S. (2007): Die Biologie der Ceratiten der flexuosus-, sequens/pulcher und semipartitus/meissnerianus- Zone – Entstehung und Aussterben der Biospezies Ceratites nodosus - Veröff. Naturkundemuseum Erfurt, 26: 39-67, 32 Abb., 6 Taf., 3 Prof., Erfurt.